Und es war Sommer, als die Verantwortlichen der Stecknitz Schule das Förderprogramm für den Ausbau von Ganztagsschulen erreichte. Schnell haben sich Schulleiter Matthias Heffter, Schulverbandsvorsteher Friedrich Thorn und Amtsverwaltung Geert Schuppenhauer zusammengesetzt und die nötigen Begründungen und Entwicklungsdaten der Stecknitz Grundschule aufgezeigt.
Und dann kam die Überraschung, das Bildungsministerium des Landes Schleswig-Holstein erklärte die Antragstellung zu einem Windhundverfahren. Und damit nicht genug, es gab nur die Möglichkeit – wie vor 50 Jahren – Programmanträge in Papierform ab Sonntag, den 1. September 0:00 Uhr bei der Investitionsbank in einem vorher sorgfältig geleerten Briefkasten regelkonform einzuwerfen.
In einem atemberaubenden Spektakel, das alle bisherigen Erlebnisse von Verwaltung im digitalen Zeitalter in den Schatten stellt, fand am vergangenen Wochenende das legendäre „Windhundrennen“ um die begehrten Fördermittel zum Ganztagsausbau statt. Der Schauplatz: Ein unscheinbarer Briefkasten in der Kieler Innenstadt. Die Protagonisten: Schlaflose Schulträger, erschöpfte Lehrkräfte und ein Hauch von Taylor-Swift-Fan-Energie.
Bereits um 20.00 Uhr am Sonnabend begannen die ersten unermüdlichen Verwalter, ihre Kühltaschen und Klappstühle vor der Investitionsbank zu platzieren. Mit Bierdosen in der Hand und einem festen Blick auf den frühestens ab 00.00 Uhr zu füllenden Briefkasten scharten sich Vertreter der Kommunen aus dem gesamten Land zusammen, um sich die besten Plätze im Rennen zu sichern. Denn nichts sagt mehr „Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen“ als eine Schlange Beamter, die sich bis Mitternacht in die kalte Nachtluft stellen, um einen Umschlag in einen Briefkasten zu werfen.
Und so begann es: Punkt 23:59 Uhr wurde der Briefkasten der Investitionsbank in Kiel noch einmal geleert, bereit für den Sturm der analogen Antragsabgaben ab 00:00 Uhr. Die Spannung war greifbar. Würde die große Schwester eines Bürokraten aus Berkenthin es schaffen, sich unter den ersten Umschlägen zu platzieren? Oder würde sie von der Welle der ambitionierten Schulträger aus Kiel und Umgebung überrollt werden? Der Wettkampf um den ersten Platz im „Windhundrennen“ war eröffnet.
Unsere Heldin, bewaffnet mit dem vielleicht wichtigsten Umschlag ihrer Karriere, bahnte sich den Weg durch die Masse. Inmitten von Namen wie Hackstedt und Handewitt stand sie, Position 12, mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen. Und dann geschah es: Irgendwer in der Menge kannte Berkenthin – und so kam es zum historischen Moment des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung zwischen den konkurrierenden Städten und Dörfern. „Sie haben diverse Fotos gemacht, einige fanden es ebenso großartig wie unfassbar“, so die spätere Rückmeldung.
Dabei darf der gemeinsam laut runtergezählte Countdown der letzten 10 Sekunden bis Mitternacht nicht unerwähnt bleiben, ebenso wie der fassungslos-ungläubige Blick des Briefkastenleerers auf die wartende Truppe. Und auch das Gruppenfoto aller Beteiligten, auf dem sich erkennbar Wahnsinn, Übermüdung, aber auch Stolz auf den geleisteten Einsatz Bahn brachen, verdient Erwähnung. Ach ja, und die Klappe des Briefkastens klemmte dann irgendwann wie bei einem Altkleidercontainer, und bald nach dem Einwurf des Stecknitz-Antrags dürfte nix mehr gegangen sein, da doch mehrere Leute diverse Umschläge gesammelt eingeworfen hatten. Einer stellte übrigens lakonisch fest: „Das Geld ist hiermit schon verteilt…“.
Doch was bleibt von diesem denkwürdigen Ereignis? Für die Geschichtsbücher bleibt der Eindruck, dass die Verwaltung in Schleswig-Holstein im Jahr 2024 auf ihre ganz eigene Weise den digitalen Fortschritt interpretiert hat. Statt eines einfachen Mausklicks wurde der analoge Wettlauf um 0:00 Uhr am Sonntagmorgen zur neuen Norm erklärt.
Und während sich der Staub langsam legte und die Bierdosen ausgetrunken wurden, bleibt eine Frage im Raum stehen: War es das alles wert? Werden wir uns an diese Nacht erinnern, als die, in der die Digitalisierung im öffentlichen Dienst endgültig für tot erklärt wurde?
Mit einem herzlichen Gruß aus Berkenthin und dem leisen Wunsch, dass der nächste Förderantrag vielleicht doch per E-Mail eingereicht werden kann oder zumindest nicht in der Nacht von Samstag auf Sonntag, verabschieden wir uns aus diesem Abenteuer der besonderen Art. Möge der nächste Sonntag ein friedlicher sein, ohne nächtliche Spaziergänge und ohne bürokratische Marathonläufe.
Bericht von mehreren Überlebenden des Antrag-Wahnsinns